Krankenstation der Aurora
Das soll sie also gewesen sein, die letzte Schlacht dieses Krieges. Doppelschlacht, um genau zu sein. Schließlich war parallel zur Schlacht um Veritar IV noch die viel größere Operation Tiebreak gelaufen, in welcher die alliierte Flotte die Hauptflotte von Fraktion 1 gebunden hat, die plötzlich ihrer Rückzugsmöglichkeit beraubt, einem Waffenstillstand zustimmte.
Die Bilanz von Operation Tiebreak war noch vernichtender, die alliierte Flotte hatte hunderte Schiffe und Zehntausende Besatzungsmitglieder verloren, je nach Besatzung der Mutterschiffe gingen die Verluste der Raghdor möglicherweise gar in die Millionen. Die Doppelfunktion der Mutterschiffe als Flugdeckkreuzer und Kolonisationsschiffe hatte auf Seiten der Sternenflotte für ein moralisches Dilemma gesorgt, welches jedoch von ihren Verbündeten nicht so kritisch bewertet worden war.
Doch auch auf und über Veritar IV hatte eine dramatische Schlacht geherrscht. Ein Mutterschiff war in einem Kamikazeangriff zerstört worden, mehrere Sternenflottenschiffe ebenfalls, eines davon war in der Atmosphäre von Veritar IV verglüht. Die Aurora hatte nach dem Ausfall der T’Plana-Hath, die immer noch auf Notenergie im Orbit des Planeten hing erneut das Kommando erhalten und im Verlaufe der Schlacht die schwersten Schäden der noch jungen Schiffsgeschichte erlitten. Es würde Wochen dauern, bis wieder an eine Operationsbereitschaft des Schiffes zu denken wäre.
Die Kämpfe auf der Oberfläche Veritar IVs waren wahrscheinlich die schwersten Bodenkämpfe, an denen die Sternenflotte seit Jahren beteiligt gewesen ist. Die Lage war so verzweifelt, dass ich gar ein Orbitalbombardement durch die Phaser angeordnet hatte, außerdem war eine Staffel unserer Angriffsjäger laufend Tiefflugangriffe auf die Raghdortruppen geflogen und hatte dabei auch unsere eigenen Leute getroffen.
Vor dem Krankenbett eines der Opfer dieses Eigenbeschusses stand ich nun, es war ein bekanntes Gesicht, vielmehr war es ein bekanntes Gesicht gewesen. Wüsste ich nicht dank der Anzeige des Biobetts, dass hier Captain Gebo Lavin vor mir lag, ich hätte es nicht gewusst. Sein Gesicht war verbunden, sein Körper ebenfalls von medizinischen Geräten und Verbänden bedeckt. Auf der Anzeige konnte ich erkennen, dass er ein Auge verloren hatte und einige Nervenbahnen beschädigt worden waren. Um das Fehlen eines Beines zu erkennen, brauchte ich kein Display. Es war noch nicht sicher, dass er überleben würde, sonst wäre er wohl schon in eines der Notlazarette an Bord verlegt worden. Doch wenn er überleben würde, wäre es wohl ein gänzlich neues Leben für ihn. Ohne groß darüber nachzudenken fummelte ich mit meiner Rechten an meinem Ohr herum. Als ich auf meine Hand blickte, stellte ich fest, dass ich meinen Ohrring in dieser hielt. Lavin hatte ihn mir vor Jahren geschenkt. Es war der Ohrring seines Vaters gewesen, den er bei Nachforschungen irgendwo in der Cardassianischen Union entdeckt hatte. Dieser Ohrring, wie ihn fast jeder Bajoraner trug, stellte eine symbolische Manifestation der Verbindung zwischen dem bajoranischen Volk und ihren Propheten dar, zumindest dachte ich das. Propheten ... ich würde sie im Moment nicht brauchen, Lavin schon.
Meine Augen wurden schwer, die Ursache dafür waren wohl Erschöpfung und die Tränen, die ich zurückhalten musste. Ich musste hier weg, sofort. Hier war ich nutzlos, ich habe zwar Hände gedrückt und Schultern geklopft, aber außer dem medizinischen Personal und dessen Helfern war auf der Krankenstation kaum jemand ansprechbar. In den Lazaretten würde dies wohl einfacher sein. Daher bedachte ich den Ohrring mit einem Kuss und hängte ihn an das Biobett, auf das der halbtote Bajoraner gebettet war. Das Schiff war vorerst gerettet, nun galt es die Moral an Bord zu retten.
Ich verließ die Krankenstation, vorbei an den Leichensäcken, die sich mittlerweile vor deren Eingang gestapelt hatten, da die Helfer nicht mehr mit deren Abtransport zurechtkamen. Zu sehr waren sie mit der Verlegung der noch lebenden Opfer dieses Krieges beschäftigt. Doch wo ging ich hin? Wo wollte ich hin?
Ja, in die Frachträume, ins Lazarett. Ich ging dorthin, weil ich dorthin musste. In Wirklichkeit wollte ich nur noch nach Hause, zu meiner Frau, meinen Kindern, zu meiner Schwester, zu meiner Mama. Wie wahrscheinlich fast jeder an Bord, vielleicht sogar Lavin...
Angriffsjäger von Lieutenant Commander Melinda „Redout“ Al-Jaffa,
im Orbit von Veritar IV
Angeblich hat sie ja mal majestätisch gewirkt. Doch so wie die Aurora gerade aussah, war dies definitiv nicht der Fall. Andererseits fand ich ohnehin, dass Raumschiffe selten majestätisch aussahen, eigentlich nie. Diese Eigenschaft lag doch eher in den Bewegungen begründet. Sah eine humpelnde Königin majestätisch aus? Nein, sie musste einen majestätischen Gang haben und ein Raumschiff hatte diesen nie. Dafür brauchte es schon richtige Schiffe wie Betty und richtige Piloten, wie mich. Der Kampf war interessant und erfolgreich. Wir hatten gewonnen und zwei Drittel unserer Jäger dabei verloren. Allerdings kann man sagen, dass diese Verluste wohl einkalkuliert waren, das war eben das Schicksal eines Jägerpiloten. Zwei Drittel, das war deutlich weniger als alle.
Was war geschehen? Wir haben die Raghdor schon beim Anflug überrascht und dann den Planeten verteidigt und die Schiffe gegen anfliegende Jäger. Ich konnte mir nun drei weitere P-Waggons auf meine Betty malen, vielleicht würden es die letzten sein. Vielleicht würden noch welche hinzukommen. Wie sollte ich das jetzt auch wissen?
Am aufregendsten an diesem ganzen Gefecht war ganz klar die Bodenunterstützung. Die Aurora hatte kurzzeitig ein Orbitalbombardement mit den Phasern gestartet. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Wow ... im Weltraum wirkt die Feuerkraft so steril, aber wenn man ihre Wirkung auf dem Boden sieht, bekommt man es mit der Angst zu tun. Ich hätte mir anstelle der Schlammhüpfer da unten die Hosen voll gemacht, aber ... die Hitze der Phaser hätte diese wahrscheinlich binnen Sekunden wieder getrocknet.
Und dann unsere Tiefflugangriffe ... Als die Raghdor zu nahe an unserer Stellung waren, wurden wir hinbeordert, um die anrückenden Truppen aufzuhalten ... das war etwas, was wir nur selten taten, und fast genauso selten trainierten. Handerson der Trottel leistete sich einen Fehlschuss auf die eigene Stellung, aber er hatte ‘nen P-Wagon an der Sechs und Schäden an der Zielerfassung. Kurz darauf ging er auch selbst runter. Aber er lebt noch, alleine auf einer einsamen Insel auf Veritar IV. Ich habe ihm gesagt, er soll schon mal das Bier kaltstellen. Ich komme gleich runter.
Ein Blinklicht mit begleitendem Piepton sprang unverhofft an und kündete von neuem Unheil. Scheiße! Mein Antrieb ist doch hinüber, ich dachte ich hätte die Treibstoffzufuhr überbrückt. Die Gravitation Veritar IVs würde mich wohl in nächster Zeit wieder haben. Durch das Cockpitfenster sah ich erneut zur Aurora. Hoffentlich würden die mir Hilfe leisten, laut meinen Anzeigen war die T’Plana-Hath schon relativ früh ausgefallen.
Mit ruhiger Stimme startete ich meinen Notruf, etwas anderes blieb mir nicht übrig. Ansonsten konnte ich in ein paar Minuten gemeinsam mit Handerson das Bier kaltstellen.